Nur Utopien sind real

Hanna Rut Neidhardt – Nak nak und Pekingente
Januar 13, 2020
Schöner sterben mit Schiller
Januar 13, 2020

Nur Utopien sind real

Den Post mit nur einem Klick teilen.

Profn. Annette Kuhn *22.5.1934 – † 27.11.2019

Das Haus der Frauengeschichte in Bonn verlasse ich selten ohne ein neues Buch. Als ich vor kurzem wieder mal da war, griff ich nach dem kleinen Büchlein aus der Reihe „Jüdische Miniaturen“ von Dr. Barbara Degen über Annette Kuhn, die Gründerin des Hauses der Frauengeschichte in Bonn, und kaufte es. Die Autorin, ihres Zeichens feministische Juristin und Frauengeschichtsforscherin hauptsächlich der NS-Zeit, würdigt ihre langjährige Freundin Annette Kuhn darin als Pionierin und herausragende Figur der deutschen Friedens- und Frauengeschichtsforschung in der Bundesrepublik (Hentrich&Hentrich Verlag Berlin, Band 191, Annette Kuhn, 2016). Als uns die traurige Nachricht von Annettes Tod erreichte, nahm ich das Büchlein erneut zur Hand. Ich schritt lesend den roten Faden ab, den zu weben sich Annette zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hat: Frauengeschichte wieder sichtbar zu machen.

Dr. Barbara Degen verfasste im Jahr 2016 in der Reihe „Jüdische Miniaturen“ ein Porträt über Annette Kuhn, die Gründerin des Hauses der Frauengeschichte in Bonn. Darin gibt die Autorin einerseits ein sehr analytisch-einordnendes Bild des Lebens und der Arbeit von Annette Kuhn, andererseits ist das Büchlein auch ein sehr persönliches Dokument des Menschen, deren Persönlichkeit geprägt ist von den großen Verwerfungen ihrer Zeit: dem Patriarchat und seinen Unbillen für kluge Frauen auf ihrem eigenen Weg sowie dem Horror der NS-Zeit und seine Auswirkungen bis in die Gegenwart, insbesondere für ForscherInnen, die sich kritisch damit auseinandersetzen.

Persönlich geprägt dadurch, dass die Eltern ihre jüdische Herkunft leugnen, duldet sie im universitären Betrieb keine blinden Flecken und nimmt sich Themen vor, über die am lautesten geschwiegen wird. Sie beginnt am Anfang ihrer Karriere mit der Geschichtsdidaktik, in deren Mittelpunkt bislang Heroen und ihre Feldzüge stehen, und bricht sie „auf die konkreten Auseinandersetzungen der jeweiligen Zeit“ herunter, um sie „mit den Rückfragen und Lernzielen für SchülerInnen“ zu verbinden .(S.61) Sie fordert strenge Quellenarbeit, um Thesen überprüfbar zu machen.

Im Laufe ihres beruflichen Wirkens gibt es neben ihrer eigentlichen Lehrtätigkeit eigentlich kein publizistisches Gebiet, das sie nicht betritt. Annette Kuhn gibt Zeitschriften heraus, die neue didaktische Maßstäbe setzen. Sie veröffentlicht Bücher und nähert sich immer mehr ihren Lebensthemen, der NS-Zeit und der Frauengeschichte. Sie publiziert selber und gibt heraus. Sie organisiert Ausstellungen, z.B. 1991 im Frauenmuseum in Bonn, gemeinsam mit Marianne Pitzen, zum Thema „Frauen im NS-Alltag. Bonn 1939 – 1945“. Dazu gibt sie Quellenbände zur NS-Zeit und Nachkriegszeit heraus, die bis heute Standardwerke sind. (S. 67)

Es kommt zu Eklats wie auf dem Historikertag 1976, wo ein Aufsatz von ihr als unwissenschaftlich diskreditiert wird. Ihre Antwort ist ein Frauenkongress zum Thema „Frauenmacht in der Geschichte“. Ihr wird die Lehrerlaubnis entzogen, um ihren Einfluss zu minimieren. Wenn sie das stoppen sollte, schlug der Versuch gründlich fehl.

Kurzum: sie forscht, lehrt, schreibt unermüdlich, stellt aus, gibt Kalender heraus und organisiert Kongresse. Ihre Themen spannen sich von der Geschichtsdidaktik über die Emanzipation, Frauengeschichte und -biographien, die NS-Zeit bis zur Friedens- und Konfliktforschung. Barbara Degen schreibt: „In Bonn […] ist sie ein magischer Anziehungspunkt, ihr Lehrstuhl für Frauengeschichte und der Entzug ihrer Prüfungsberechtigung sind Stadtgespräch.“ (S.85)

Nach ihrer Emeritierung im Jahr 1999 kann sie, von den Zwängen der Uni befreit, ein freies wissenschaftliches Leben führen. Sie will Frauengeschichte so entwickeln und denken, wie sie es sich immer vorgestellt hat. Ihr Credo: „Mit der Frauengeschichte […] kann eine reale, anti-patriarchale Kultur begründet werden.“ (S.81)

Die Planung für ein Haus der Frauengeschichte nimmt reale Züge an: im Jahr 2000 gründet sich der Verein „Haus der Frauengeschichte““, in dem auch Barbara Degen Gründungsfrau ist. 2009 wird die „Annette Kuhn Stiftung“ gegründet und 2012 die Räume in der Wolfstraße 41 angemietet, die noch heute das Haus der Frauengeschichte beherbergen. Mit 80 Jahren zieht sich Annette Kuhn langsam aus der aktiven Arbeit zurück. Sie nimmt Ehrungen und Auszeichnungen entgegen, wie den Johanna-Löwenherz-Preis oder das Bundesverdienstkreuz.

Engagierte junge Frauen arbeiten heute im Haus der Frauengeschichte und binden Annettes Werk in die Gegenwart ein. Im Mai diesen Jahres feierte Annette ihren 85. Geburtstag. Am 27.11., am selben Tag wie ihre Großmutter Margarete Lewy, die 1925 verstarb, hat sie uns alleine gelassen mit ihrem Vermächtnis.

Quelle:

Barbara Degen: Annette Kuhn, Jüdische Miniaturen Band 191, Hentrich&Hentrich Verlag Berlin, 2016.

1 Comments

  1. Monika Neumann sagt:

    Danke liebe Barbara für diesen einfühlsamen Nachruf und Darstellung des Lebenswerks von Annette Kuhn.
    Ich habe sie einmal persönlich im Haus der Frauengeschichte kennenlernen dürfen und war beeindruckt.
    Alles Liebe, Mona

Schreibe einen Kommentar zu Monika Neumann Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert