Debattenkultur in der Buchbranche
August 12, 2021Rezension: Nickelmann
November 16, 2021Rezension von Barbara Fischer —
Manche Menschen lernen Gegenden kennen, indem sie sie durchwandern, mit dem Rad erkunden oder mit dem Auto durchqueren. Die Leser:innen der mittlerweile vier Ahrtalkrimis begleiten Tatortfotografin Jana Vogt, wenn sie das Ahrtal durch Mordermittlungen entdeckt. Diese Ermittlungen gehören nur zum kleineren Teil zu ihren beruflichen Aufgaben, zum größten Teil, einer genetischen Veranlagung nicht unähnlich, folgt Jana Vogt ihrem Schnüffelinstinkt. Ihre wahre Berufung sieht sie im Ermitteln. Die Altersvorgabe der deutschen Beamtenbürokratie steht ihrer beruflichen Weiterentwicklung im Wege, es zur rheinlandpfälzischen Kripo zu schaffen. Doch, was wäre ein Leben ohne Eigeninitiative? Soweit der Rahmen der Geschichte, zu dem unbedingt Jana Vogts Airedale Terrier Usti gehört, noch vor dem Freund und Kollegen von der Koblenzer Kripo, Clemens Wieland.
Der vierte Fall mit Jana Vogt spielt im Sommer vor der Flutwelle, die am 14.Juli 2021 gewütet hat. Er weist, wie der Titel „Juwelennächte“ suggeriert, Bezüge zur mondänen Historie des Kurbades Bad Neuenahr auf. Die Kurstadt war in den Jahren der jungen Bundesrepublik Schauplatz des damals hoch angesehenen Ereignisses des Bundespresseballs mit all seinen Prominenten und illustren Gästen. Ein gesellschaftliches Highlight, welches im Setting der Gründerzeit- und Bäderarchitektur der Stadt so gut aufgehoben war, dass es Weltstars wie Josephine Baker an die Ahr zog. Die beste Kulisse für „Juwelennächte“.
Neben den Ahr-Thermen wird ein Toter gefunden, Daniel Bender, ein Journalist. Er sieht äußerlich gar nicht aus wie ein Mordopfer. Schnell wird klar, er ist i n der Therme verstorben. Zwei Thermenmitarbeiter fürchteten um das Image ihres Arbeitgebers und bugsierten ihn kurzerhand nach draußen. Dieser Umstand ist schnell geklärt. Doch dann bringt die Obduktion eine besonders perfide Mordart ans Licht, die nicht nur Menschen tötet, sondern eine klare Botschaft sendet: sowas passiert, wenn man uns zu nahe kommt!
Die Gretchenfrage des Krimis lautet: wem war Daniel Bender auf der Spur? Und was hat er herausgefunden? Dass sein Laptop mit wichtigen Informationen verschwindet und Fotos auftauchen, deren richtige Zuordnung ein Dreh- und Angelpunkt des Mordfalls zu sein scheinen, letztlich aber noch auf einen ganz anderen Strang hinweisen, ist dem geschickten Spiel mit Wahrheit und Täuschung zu verdanken, das die Autorin Karin Joachim in diesem Fall brillant einsetzt.
Karin Joachim
Die Beziehungs- und Handlungsdichte der Geschichte überzeugt in ihrem Spektrum. Figuren, die jeder Stadt Leben einhauchen, werden verknüpft mit zwielichtigen Gestalten, wobei nur in den seltensten Fällen sofort klar ist, wer wo einzuordnen ist.
Eine Politikerfamilie gerät von Anfang an in den Fokus; ein Antiquar, der mit altem Schmuck handelt, macht sich verdächtig; ein Fotojournalist tritt auf; die Freundin des Mordopfers ist Historikerin und recherchiert in alten Fällen; ein Kriminalkommissar a.D. hat eine Rechnung offen; genauso wie Jana Vogt selber, die in Köln Opfer eines brutalen Übergriffs geworden war und in ihrem vierten Fall mit den Beteiligten konfrontiert wird.
Der Plot führt Geschehnisse aus den 50er Jahren geschickt mit dem Mord der Gegenwart zusammen und auch mit Jana Vogts eigener Vergangenheit in Köln. „Doch so sehr sie sich […] bemühte und die Akten wälzte, sie drang nicht weiter in das Dickicht der vergangenen Ereignisse vor. Sie ahnte allerdings, dass der alte Fall bis in die Gegenwart reichte, zumindest, was die beteiligten Personen […] betraf.“
Jana Vogt bleibt sich und ihrem Arbeitsstil treu, wenn die Intuition ihr wegen der allzu verworrenen Faktenlage sagt, dass da etwas ganz und gar nicht mit rechten Dingen zu geht. „Was passierte hier? Sie hatte sich schon gestern so merkwürdig gefühlt. Sah sie Zusammenhänge, die es überhaupt nicht gab? Jana begann, an ihrer eigenen Wahrnehmung zu zweifeln.“
Sie zweifelt nicht lange. Doch die Dimension dessen, was da nicht stimmt, kann sie zu dem Zeitpunkt nicht erahnen. Als sie es tut, weicht sie keinen Millimeter zurück und entscheidet die Machtspiele der Verbrecher zu ihren Gunsten. „Wieder heulte der Motor auf. […]Janas rechte Hand umklammerte ihre Kamera, mit der Linken hielt sie Ustis Leine ganz fest und lief erhobenen Hauptes und mit aufrechtem Gang dem Sportwagen entgegen. Der Motor heulte wieder auf, aber das Auto bewegte sich nicht.“
Von Anfang bis Ende spielt Karin Joachim geschickt mit dem Subtext der Geschichte: Nichts ist, wie es scheint. Hat man einen Strang in der Hand und glaubt sich der Lösung nahe, so kommt eine neue Facette zum Vorschein. Ab der Mitte der Geschichte nimmt die Erzählung so richtig Fahrt auf. Die Figuren werden immer feiner porträtiert, die Ereignisse verdichtet. Alles hängt mit allem zusammen. Das Buch mündet in einen wahren Auflösungsmarathon, der mehr als eine unvermutete Wendung bereit hält.
Der Autorin gelingt es, alte Handlungsstränge so mit dem neuen Fall zu verknüpfen, dass sie die Leser:innen auf jeder Seite der Geschichte mitnimmt. Nicht nur, wer alle Bücher kennt, kann die „Juwelennächte“ genießen!
Ein neuer Ahrtalkrimi kann derzeit nicht besprochen werden ohne der neuen Zeiteinteilung Rechnung zu tragen: vor der Flut… und nach der Flut. „Jana radelte gemütlich an der Ahr entlang, beobachtete die eifrigen Gärtner in den Parks bei ihrer Arbeit für die Landesgartenschau und erreichte schließlich die Ahr-Thermen.“ Die Landesgartenschau, für 2023 geplant, wurde inzwischen abgesagt.
Wenn Karin Joachim die Ereignisse vom 14.Juli 2021 beschreibt, dann kommt die Zeitrechnung während der Flut hinzu. „Die Flut haben wir hautnah miterlebt. Als wir uns entschieden haben, das Haus zu verlassen (niemand warnte uns!), floss die Ahr bereits durch unsere Straße, obwohl sie nicht unmittelbar am Flussufer liegt. Der Keller war mittlerweile komplett überflutet. Als wir durch den Garten gingen, um uns zu einem höher gelegenen Ortsteil zu begeben, standen wir plötzlich schon hüfthoch im Wasser. Es war dunkel, überall rauschte es. Ich trug meinen Hund im Arm, wir hatten nur eine Kiste mit dem Nötigsten packen können. […] Wir sahen Autos in Baumwipfelhöhe vorbeischwimmen, überall krachte es, es gab kleinere Explosionen.“
Es folgt die Zeit direkt nach der Flut, die Karin Joachim schildert:
„Das Ausmaß der Flutnacht wurde uns erst beim Morgengrauen allmählich bewusst. Es stank nach Benzin und Heizöl. Erst im Laufe des Vormittags erhielten wir immer mehr Nachrichten, allerdings nur aus der unmittelbaren Nachbarschaft, denn das Handynetz war zusammengebrochen. Gerüchte, dass Brücken eingestürzt waren, machten die Runde. Doch es waren keine Gerüchte. Es sollte Tote gegeben haben. Auch das konnten wir uns anfangs gar nicht vorstellen (später erfuhr ich von Freunden und Bekannten, die sich unter den Opfern befanden). Wir lebten plötzlich in einem Katastrophengebiet, ohne fließendes Wasser, ohne Strom, ohne warmes Wasser. […] Als ich mich zum ersten Mal traute, unsere Straße zu verlassen und ein wenig weiter zu laufen, musste ich weinen, denn es sah an vielen Stellen so furchtbar aus. Ich stand vor der zerstörten Ahrbrücke und konnte nicht begreifen, was ich sah. Überall lagen haufenweise Trümmer. Und der Geruch, der über allem schwebte, nahm mir den Atem.“
Trotz aller Schrecken wird es eine andere Zeit nach der Flut geben.
„Nun, bald drei Monate nach der Flut, lasse ich langsam den Gedanken zu, weitere Fälle zu schreiben. Die Frage ist zunächst, wie kann ich die Ermittlungen weiter im Ahrtal stattfinden lassen, ohne dass es pietätlos wirkt? In Gesprächen haben mich viele darin bestärkt, weiter zu schreiben. Viele haben mich sogar gezielt darum gebeten, nicht aufzuhören. Ich habe auch schon eine konkrete Idee für den 5. Fall mit Jana Vogt. Es geht also nach der Flut weiter. Mit meinem Lektor bin ich darüber auch schon im intensiven Austausch.“
Die Ahrtalkrimis werden andere sein nach der Nacht des 14.Juli 2021. Aber es wird sie weiter geben!
Das Buch „Juwelennächte erscheint am 6. Oktober 2021.