Freyja – Baumweltensaga Teil II

La otra mitad – Die andere Hälfte
März 17, 2020
periplaneta prenzelbergensis
April 9, 2020

Freyja – Baumweltensaga Teil II

Den Post mit nur einem Klick teilen.

Es gibt wirklich noch gute Nachrichten: es ist Frühlingsanfang und die Freyja ist da! Unser Ringeltaubenpärchen im Lindenbaum hat heute Nachmittag bei der Single-Hoflesung andächtig gelauscht.

Es ist nur darauf zu achten, immer einen erklecklichen Vorrat des Lieblingsgetränks vorzuhalten. Und schon kann es losgehen.

Das erste Kapitel als Leseprobe gibt’s hier:

Der Albtraum

Die schwarze Wolkenwand am Horizont war nicht das eigentlich Schlimme. Das wirklich Entmutigende waren die drei Tornadotrichter, die übers Meer fegten, mit Schlünden, die vom Himmel bis hinunter aufs Wasser reichten. Zwei gingen rechts und links an ihrem Schiff vorbei. Der dritte Trichter stürmte direkt auf das Schiff zu. Sie schrie auch diesmal noch kurz auf, bevor diese Mischung aus Gischt und entfesselter Kraft sie völlig einhüllte und mit in die Höhe riss, samt Schiff. Alles versank in undurchdringlichem Dunkel. Sie spürte nur, wie sie hochgehoben und herumgeschleudert wurde. Eine Urkraft hatte sie erfasst, der sie nichts entgegenzusetzen hatte: größer als sie selbst und ihr unsterbliches Leben.

Man erzählte sich in den Nordlanden von einer Frau, eher einem Mädchen, die in ihrem Wohnwagen von einem Tornado erfasst wurde und in einem Zauberland landete.

Wenn sie doch nur in diesem Zauberland aufwachte, ging es Freyja durch den Kopf. Es war, als beobachtete sie sich selber im Traum. Als sie landete, wusste sie sofort, das Land mit der lachenden Katze, dem sprechenden Porzellanmädchen oder den ewigen Brüdern Tweedledee und Tweedledum war unerreichbar fern.

Sie spürte zwar nichts von der Fallhöhe, als sie hinunterstürzte, was sie dankbar registrierte, bemerkte aber, dass der Sturz enorm gewesen sein musste.

Wie immer umgab sie völlige Dunkelheit, als sie zu sich kam. Sie war allein und fühlte einen großen feuchten Raum. Ihre Augen gewöhnten sich widerstrebend daran, auch ohne Licht zu sehen.

Freyja setzte sich auf in einer eher finster als dämmrig zu nennenden Halle. Die einzige Leuchtquelle, wenn man sie denn überhaupt so nennen durfte, waren grünbemooste und vage phosphoreszierende Steinwände. Ansonsten war es nur einsam, dunkel, feucht und kalt. Erinnerungen an einen Hutmacher aus jener Zauberlandlegende glommen mittlerweile noch schwächer als das Moos auf den Steinen. Anders als das Moos verloschen sie schließlich ganz. Dort, wo Freyja sich befand, wies ihr kein weißes Kaninchen den Weg.

Dafür gaben ihre Umgebung immer mehr Details preis. Freyja bemerkte einen Stein in der Mitte des Raumes… auf dem etwas stand… Sie bewegte sich darauf zu und sah auf einer Art Altar einen Kelch stehen, in dem eine grün schimmernde Flüssigkeit schwamm. Gut, dachte Freyja, grün schimmert hier alles, wie das Moos an den Wänden. Neben dem Pokal sah Freyja eine Kette aus Tigeraugensteinen, die schimmerte nicht grün, sondern braun. Sie griff nach dem Schmuckstück. Die Kette verrückte ihren Standort, sobald Freyja in ihre Nähe kam. Sie versuchte es erneut, und noch einmal. Die Kette reagierte auf ihre Hand, stellte Freyja fest und überlegte, ob sie erstaunt war. War sie nicht. Dann vielleicht der Pokal. Wenn sie ihn zu fassen kriegte, konnte sie vielleicht die Flüssigkeit identifizieren. Ihre Finger näherten sich dem Gefäß. Ein Schrei zerriss die lautlose Dunkelheit. Freyja zuckte zusammen, ihre Finger schnellten zurück. In dem abebbenden Schrei erklang einer Stimme aus dem Nirgendwo der Finsternis: ‚Koste vom verbotenen Wissen!‘

Wovon sollte sie kosten? Ihr Blick fiel auf den Pokal. Der schimmernde Inhalt. Sie mochte Grün. Freyjas Hand näherte sich dem Pokal. Doch was mehr nach Befehl als nach einer Einladung klang, entpuppte sich als Karikatur. Sobald ihre Hand in der Nähe des Gefäßes kam, erklang dieser Schrei, immer wieder.

Unmöglich ihn zu ignorieren. Die Hand zog sich zurück und umgehend erging der Befehl erneut. Grotesk! Sollte sie vielleicht Moos essen? Es reichte! Freyja wollte sich dem Stein mit dem Pokal ganz entziehen, was, wie sich herausstellte, auch nur mit erheblicher Anstrengung gelingen würde, wenn überhaupt. Es war, als hielte sie ein Magnetfeld an dem Ort fest und verhinderte ihren Rückzug. Der Schrei wehrte jede Annäherung an den Pokal ab und der Befehl konterkarierte die Gemengelage als unauflösbares Knäuel von irgendwas.

Freyja versuchte eine neue Strategie. Sie legte sich flach auf den Boden und kroch rückwärts über den feuchten Boden. Es gelang mühsam, doch immerhin. Allerdings, als sie sich vom Stein entfernte, legte sich ein Druck auf ihre Brust und ließ sie schwerer atmen als nach einem 2000 Meilen Lauf über die Fjordfelsen. Sie gab auf, richtete sich auf und bewegte sich weder vor noch zurück. Sofort ließ der Druck nach. Innerlich schüttelte Freyja den Kopf darüber, dass sie, wie wusste sie noch immer nicht, jetzt einfach aufstehen und den dunklen Raum durchqueren konnte. Sie spürte, dass sie es konnte, wenn sie es wünschte. Aber sie tat es nicht. Sie sah in der Dunkelheit eine Tür zwischen dem phosphoreszierenden Moos schimmern. Jetzt wusste sie, wohin sie gehen sollte. Und nichts hinderte sie. Doch als sie kurz davor stand, sprach die Stimme erneut zu ihr, mehr durch ihre Seele, als dass die Ohren damit zu tun hätten: ‚Koste von dem verbotenen Wissen‘.

Freyja drehte sich um und blickte zu dem Kelch, der nicht mehr als eine vage Silhouette vor finsterem Hintergrund war. Verbotenes Wissen kosten, wäre ihr ein Vergnügen. Doch ein Spielball, für wen auch immer, zu sein, dem widersetzte sie sich. Und Befehle nahm sie schon gar nicht entgegen. Sie ging weiter auf die Tür zu. Die Stimme meldete sich nicht mehr.

Dafür spürte sie die Anwesenheit von Etwas in ihrem Rücken. Sie drehte sich erneut um. Immerhin hatten ihre Augen sich so an die Dunkelheit gewöhnt, dass sie über Altar und Kelch hinaussehen konnte.

Etwas saß in der anderen Ecke des Raumes und fixierte sie mit kleinen schwarzen Punktaugen. Um die Augen herum waberte eine quaddelige Masse von einem hellen Etwas. War das schon die ganze Zeit dagewesen?, fragte sich Freyja. Und hat dieses Etwas mit dem Verbotenen Wissen zu tun?

Es dauerte eine Weile, bis sie die Erscheinung mit den Gegebenheiten des Raumes vereinbaren und sich eingestehen konnte, dass das, was sie da sah, so real war, wie ein Traum eben reale Wesen kreieren konnte.

Freyja wog ihre Situation ab. Gehen? Oder schauen, wer oder was da war? Wenig überraschend siegte ihre Neugierde. Sie drehte sich um und konnte nun mühelos den Raum vermessen, umging den Stein mit dem Pokal und näherte sich dem weißen quallenförmigen Etwas. Punktaugen stachen in ihr Innerstes. Und nun erkannte Freyja, mit wem sie es hier zu tun hatte: mit einem Riesenkraken, dessen Tentakeln unruhig und ziellos über den feuchten Boden glitten. Ich kann dir ein Führer sein! Das war eine andere Stimme als die, die aus dem Kelch zu ihr gesprochen hatte. Es war der Riesenkrake, der zu ihr sprach. Er wiederholte den Satz ein ums andere Mal, mit einer sonoren Stimme, die eines Skalden würdig gewesen wäre und im gleichen Maße vertrauenswürdig war, wie die andere schrill und abstoßend ihr Verbotenes Wissen angepriesen hatte. Doch ohne Vorwarnung erweiterte der Krake sein Repertoire und Freyjas Arglosigkeit verpuffte: Geh fort! Sonst erwarten euch Unglück und Leid! Er ist nicht der, für den du ihn hältst. Du suchst jemand anderen!

Super, das war der Spruch des Wahrsagers auf dem Basar im Land der Glutkobolde. Seit Freyja dem gefolgt war, wiederholte er sich Nacht für Nacht aus dem nicht vorhandenen Mund eines Kraken. Nur leider fehlte auch hier die Ergänzung, wen sie denn wirklich suchte. Im Ergebnis hatten sich damals zwei Gedanken verschränkt: geh fort! Finde deinen Weg allein! Klar, sobald sie jemand warnte, sich in Liebesdingen zu verrennen, folgte sie der Aufforderung aus lauter Angst vor…? Genau, sie wusste es nicht einmal. 

Aber sie machte sofort, was der Wahrsager riet und der Krake seitdem Nacht für Nacht wiederholte: zurück aufs Schiff, Segel gesetzt, und zurück in die Nordlande gereist, mit einer Schiffsladung prallvoller Güter und Edelsteinen. Kurzum, sie kehrte erfolgreich in ihr altes Leben zurück. Zumindest äußerlich. Innerlich galt es Liebeskummer auszuhalten. Und warum? Weil es auf einem beliebigen Basar im Land der Glutkobolde, inmitten des Gewirrs aus tausend Ständen einen Stand mit Edelsteinen gab, hinter dessen hölzernen Ladentheke sie weizenblondes Haar begrüßte,  darunter ein Auge so blau wie der Ozean, hochgewachsen. Für Freyja blieben keine Wünsche unbeantwortet.

Sie wollte mit ihm nur mit Bernsteinen handeln… und fand sich am nächsten Abend in seinem Haus wieder. Auch in ihrem Traum gab es immer wieder diese eine Sequenz, als sie an ihrem ersten gemeinsamen Abend auf dem Dach des Hauses saßen…

Freyja schüttelte den Kopf – das tat sie jede Nacht – genau dahin führte der Weg  n i c  h t ! Sie schaute auf die Qualle, die genauso vorhersehbar und fast unmerklich nickte. Freyjas Augen fixierten die Erscheinung, als starrte ein Kaninchen in die Augen einer Schlange, fasziniert von der tödlichen Gefahr und unfähig, sich daraus zu befreien. Sie bemerkte, wie die Krakenarme über den Boden schlingerten, an ihrem Körper empor kletterten, sie hoch hoben, herumschleuderten. In dem Moment, bevor sie abhob, griff sie nach der Tigeraugenkette. Sie kreiselte durch kalte, dunkle Luft, drückte die Kette fest an sich, im nächsten Moment befand sie sich auf ihrem Schiff, das sich mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit über das Wasser bewegte, rechts und links vor dem Bug Wasserfontänen aufwerfend und schäumendes Kielwasser hinter sich herziehend. So rasch wie das Land hinter ihr immer kleiner wurde, wuchs die Wasserwüste um sie herum an.

In diesem Moment erwachte Freyja schweißgebadet. Jeden Morgen. Sie richtete sich auf und wischte sich nasse Haarsträhnen aus der Stirn. Dieser Traum verwandelte, ihre Nächte in ein Ritual stetig wiederkehrender Qualen, denen sie, irgendeinem besonders finsterem Abgrund des Daseins musste es geschuldet sein, nicht entkommen konnte. Außer, sie würde einen Weg finden, dauerhaft ohne Schlaf zu existieren.

Kurzum: Ihr Leben hatte sich seit ihrer Rückkehr aus dem Land der Glutkobolde in eine Abfolge Albtraumgeplagter Nächte gewandelt, denen sie nichts als ihren eisernen Willen entgegenzusetzen hatte… sowie den Beistand eines Clans, der sie unter allen Umständen unterstützte und den Eichenschwestern, die ihre Situation auffingen, so gut sie es eben konnten. Gehen musste sie den Weg allein. Die Qualle hatte es so vorgegeben.

Sie richtete sich auf. Die Kette aus Tigeraugensteinen klimperte leicht an ihrem Hals. Sie griff danach und verstand bis heute nicht, wieso sie sich gerade mit diesem Utensil vergewisserte, in der Wirklichkeit zu sein.

Einer Wirklichkeit, in der ihr ein fülliger Wahrsager eine Tigeraugenkette schenkte, nachdem er sie mit allem Nachdruck aus ihrer Zweisamkeit vertrieben hatte. In schweren Zeiten wie diesen sollte die Kette sie daran erinnern, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Sagte er ihr. Diese „richtige Entscheidung“ konnte sich Morgen für Morgen nicht falscher anfühlen.

Den Nächten zum Trotz, zog sie jeden einzelnen Tag ihr Programm durch, als sei nichts geschehen. Sie trainierte eisern, um in Rugia den Superpokal der Nerthusfestspiele zu gewinnen. Und sie verbesserte sich stetig. In ihren Augen bedeutete das, sie konnte ihn auch das dritte Mal in Folge in ihre Heimat die Nordlande mitbringen. Clan und Eichenschwestern sollten stolz auf sie sein können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert