#let’s talk about patriarchy

Let’s talk about patriarchy
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#let’s talk about patriarchy

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Eine Veranstaltung am Vorabend des 8.März im Allerweltshaus Köln. Ein buntes Programm rund um das Thema Patriarchat: Bassima Khoury las aus ihrem satirischen Sketchbuch „Frau Gott“ einen Dialog zwischen Hesiodod und Euripides. Nun wissen wir, wie die Misogynie in der griechischen Mythologie entstand. Werner Otto von Boehlen Schneider hatte eine zündende Idee zum Thema „Wie unsere Mütter den Frieden schufen“ (Text wird am 14.5. zum Muttertag auf diesem blog veröffentlicht). Barbara Fischer umriss das Patriarchat als Zeitalter des Kapitalozäns und als Hauptproblem in der Klimakrise. Einen berührenden autobiographischen Text las Eva Weissweiler vor. Damit der Kampf um Frauenrechte unvergessen bleibt, folgt der Text hier in voller Länge:

Eva Weissweiler: „Etwas ganz Anderes“

Neulich fand ich einen Feldpostbrief meines Vaters, in dem er meiner Mutter schrieb, er könne sich vorstellen, Kaiser von China, Feuerschlucker oder gar Papst zu werden, aber niemals Vater einer Tochter! Das sei die schlimmste Visio, die überhaupt möglich sei! Schon allein die langen Haare im Abfluss der Badewanne, das Quengeln bei jeder Unpässlichkeit, von der Kleinheit des weiblichen Hirns ganz zu schweigen: Nein, bitte nicht in seinem Haus, Hans und Thomas, seine beiden Söhne, genügten ihm vollauf, und wenn er eines Tages wieder zurückkommen sollte, dann möge sie doch bitte auf die Geburt einer Tochter verzichten.

Bild: Gerda Laufenberg

Hat nicht geklappt, wie man sieht. Ich nehme an, dass der Frust riesengroß war. Damals, im Krieg, als meine Brüder geboren wurden, purzelten die Glückwünsche nur so ins Haus. Ein Hoch auf die Heldenmutter! Es lebe der Führer! Dem Vaterland Söhne zu schenken, ist die heiligste Pflicht der deutschen Frau! Nach meiner Geburt wurden nicht einmal Anzeigen verschickt. Warum auch? Kostete doch nur Geld, das man in Zeiten des Wiederaufbaus für Wichtigeres brauchte.

Es gibt ein Bild von meiner Taufe, Mönchengladbach, Februar oder März 1951. Da trugen sie alle schwarze Klamotten und machten die passenden Gesichter dazu. Während der Predigt soll ich die ganze Zeit laut geschrien haben, kein Wunder, denn der Pfarrer baute sie auf einem Zitat des Apostels Paulus auf, was ich wohl gespürt haben muss, wenn ich es auch erst viel später erfuhr:

„Ich lasse euch aber wissen, dass Christus das Haupt eines jeden Mannes ist, der Mann aber ist das Haupt der Frau. Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, denn er ist Gottes Abglanz, die Frau aber ist des Mannes Abglanz. Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen.“

Mag sein, dass mein Vater seine Meinung später geändert hat, ein bisschen wenigstens, denn mein Mädchen-Gehirn war wohl doch etwas größer als erwartet, sodass schon bald ganze Schiller-Balladen und die Geschichten von Max und Moritz hineinpassten. Wenn Besuch kam, musste ich manchmal etwas daraus aufsagen, was allgemeine Begeisterung auslöste. Doch da gab es immer ein, zwei alte Tanten, die meinen Vater beiseite nahmen und ihm zuraunten:

„Pass auf, dass die Kleine nicht zu gescheit wird, sonst findet sie später keinen Mann!“

In der Grundschule fiel mir auf, dass die Lehrerinnen alle „Fräulein“ hießen aber die Lehrer nicht „Herrlein“. Als das „Fräulein“ Kreuder eines Tages einen dicken Bauch bekam, war das Entsetzen groß. Ihr wurde gekündigt und sie kam nie wieder, was ich sehr schade fand, denn sie war die Einzige, die mich nie an den Ohren zog und mir nie mit dem Riedstöckchen auf die Handballen schlug, bis sie rote Striemen bekamen.

Ich weiß noch, dass es zu Hause eine längere Diskussion darüber gab.

„Wieso darf sie denn wegen dem dicken Bauch nicht mehr arbeiten? Der Rektor Haag hat doch auch einen dicken Bauch und kommt jeden Tag?“

Da hörte ich zum ersten Mal den zentralen Satz, der mein ganzes Leben  begleiten würde:

„Aber Kind, das ist doch etwas ganz Anderes!“

Wirklich neu war mir die Botschaft allerdings nicht. Auch bei mir war doch immer alles „ganz anders“. Meine Brüder hatten ein großes Zimmer und ich ein kleines. Meine Brüder durften Radfahren und ich nicht. Meine Brüder bekamen zwei Würstchen und ich nur eins. Und wenn sie mich wieder einmal so geärgert hatten, dass ich mich bei meinen Eltern beschwerte, hieß es, ich solle mich nicht so anstellen, so seien sie eben, richtige Kerle, ganz anders.

Auf dem Mädchengymnasium waren wir dann endlich unter uns – unter uns ganz Anderen. Heute wird ja sehr für die Koedukation plädiert. Ist ja im Prinzip auch richtig. Doch ich muss sagen, dass meine Schulzeit gar nicht so schlimm war, weil wir nicht dauernd verglichen, entwertet und entmutigt wurden. Die Lehrerinnen hatten alle noch den Krieg miterlebt. Manche als Kinder, manche als erwachsene Frauen. Sie wussten, was es heißt, gegen ein Rollenbild anzukämpfen, gegen das Klischee von der Heldenmutter, der Gebärmaschine, der treuen Gattin des tapferen Soldaten, die zu Hause das Regiment übernehmen darf, bis er wieder zurückkehrt– oder auch nicht. Nur die Rektorin schien es nicht richtig begriffen zu haben. Sie war die Älteste des Kollegiums und vertrat eins zu eins die Parolen der NS-Frauenschaft. Unsere Abiturfeier im Sommer 1969 beschloss sie mit einem Zitat aus Goethes „Hermann und Dorothea“:

Dienen lerne beizeiten das Weib nach seiner Bestimmung,

denn durch Dienen allein gelangt sie zum Herrschen

zu der verdienten Gewalt, die doch ihr im Hause gehöret.

Erst waren wir stumm. Dann riefen wir „Buh!“ Dann kam von irgendwoher ein mehrstimmiges „Sieg Heil!“ Dann blies Beatrix aus dem Schulorchester drei falsche Töne auf ihrer Trompete. Und Regina am Schlagzeug trommelte dazu. Dann ertönten Rufe wie: „Mussten wir dafür das große Latinum machen?“ – „Und die Integralrechnung lernen?“ – Es war meine erste Erfahrung mit Frauensolidarität. Am nächsten Tag stand sogar in der „Rheinischen Post“, dass wir Mädchen es der Direktorin mal so richtig gezeigt hätten. Manche glaubten sogar, dass es eine Inszenierung gewesen sei. Aber es war keine.

Universität. Erstes Semester. Musikwissenschaft. Na ja, in Bonn, das war nicht gerade der Nabel der Welt und das spannendste Fach, aber so ganz hinterm Mond lebten wir auch nicht. Wir bekamen schon mit, was sich in Berlin oder Frankfurt so tat. Da liefen die Frauen in lila Latzhosen herum und riefen „Mein Bauch gehört mir!“ Sie nahmen die Pille und gründeten einen „Aktionsrat für die Befreiung der Frau“. Sie warfen Tomaten und Eier auf Studenten und Professoren, erklärten, dass das Private politisch sei, und wollten sich mit der alten Rollenverteilung nicht mehr abfinden. Damals fing ich an, Simone de Beauvoir, „Das andere Geschlecht“, zu lesen, aber auch Sigmund Freuds Theorien über den weiblichen „Penisneid“, die ich absolut nicht bestätigen konnte. Ich hatte die Penisse meiner Brüder oft genug gesehen und mir immer sehnlichst gewünscht, dass mir nie so ein hässliches Ding wachsen würde, was zum Glück auch bis heute nicht geschehen ist.

Eines Tages sagte mein späterer Doktorvater, für Frauen sei es wichtig, schnell zu studieren, damit sie möglichst bald ihren „biologischen Pflichten“ genügen könnten. Biologische Pflichten? Davon hatte mir bisher noch niemand etwas erzählt, nicht einmal mein Vater, der sich gern einer NS-Terminologie bediente, „deutscher Herrenmensch“, „slawischer Untermensch“, „Rasse“ usw. Am schlimmsten fand ich, dass keine von uns zahlreich anwesenden Studentinnen widersprach, nicht einmal ich. Aber ein Professor war eben ein Professor. Einem Professor widersprach man nicht, frau schon gar nicht. Später wagte ich es, ihn einmal zu fragen, wozu denn die ganze Studiererei überhaupt gut sei, wenn wir doch nur unseren „biologischen Pflichten“ genügen sollten? Darauf er: Um den Kindern eine gute Bildung zu geben! Und der Mann? Ob der keine „biologischen Pflichten“ habe? – „Aber Fräulein Weissweiler, das ist doch etwas ganz Anderes!“ Dann fuhr er fort, seine Frau, ebenfalls Musikwissenschaftlerin, habe schließlich  auch promoviert. Über den Triller im Spätwerk Beethovens. Danach habe sie vier Mal ihren „biologischen Pflichten“ genügt. Während sie dies tat, schlief er fleißig mit seinen Doktorandinnen. Jeder in unserem Seminar wusste es, aber niemand wagte, darüber zu sprechen.

Was dann geschah, werden Sie mir wahrscheinlich nicht glauben, weil Sie denken, so etwas gebe es nur bei den Taliban oder in Anatolien! Aber ich wurde tatsächlich zwangsverheiratet, mit einem Mann, den ich überhaupt nicht liebte! Ich war neunzehn Jahre alt und konnte nicht widersprechen, da ich noch nicht volljährig war. Diethelm, so hieß er, war ein Studienfreund meiner Brüder, Diplom-Ingenieur, Mitglied einer deutsch-nationalen Burschenschaft, die an die Türen ihrer Party-Keller zu schreiben pflegte: „Für Eierstöcke kein Zutritt!“ Geizig wie er war, hatte er sich ausgerechnet, dass er zehn Prozent Steuern sparen würde, wenn er verheiratet sei, mit einer Studentin, die noch nichts verdiente. Bei meinen Eltern hielt er in aller Form „um meine Hand an“ und sie sagten „Ja“: weil sie froh waren, dass sie mich, obwohl zu gescheit, doch noch verheiraten würden, mit einem Mann, der aus guter Nazi-Familie stammte und ein richtiger Germane war, blond, blauäugig und nicht zu gescheit.

Ersparen Sie mir die Schilderung der Jahre, die nun folgten, in einer Dreizimmerwohnung in der Provinz, weit ab von der Universität und den Freundinnen, die ich inzwischen gefunden hatte, weitab von der Bibliothek und den Diskussionen über Simone de Beauvoir. Ich „durfte“ zwar weiterstudieren, aber nur, um möglichst bald meinen „biologischen Pflichten“ zu genügen, was ich aber nicht tat. Ich nahm die Pille. Ich brach aus. Ich reichte die Scheidung ein. Ich nahm alle Schuld und alle Kosten auf mich. Im Urteil des Richters hieß es:

„Die Klägerin wird schuldig geschieden, weil sie entschlossen ist, weiter zu studieren und nach ihrer Promotion berufstätig zu sein. Die Ehe ist unheilbar zerrüttet.“

Das war nicht im Mittelalter, sondern 1974, im letzten Jahr der Kanzlerschaft Willy Brandts. Ich war dreiundzwanzig Jahre alt. Nach dem Urteilsspruch hätte ich mich am liebsten der RAF angeschlossen und Bomben auf die Hochburgen des Patriarchats und des Kapitalismus geworfen. Habe ich aber nicht getan, sondern bin Feministin geworden. Können Sie jetzt verstehen, warum?

(Köln, d. 1. 3. 1023)

@jennifer_lost_pixx

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